9. Juni 2022 Forum St. Liborius – Thema: Wenn das Leben grau wird – Depressionen erkennen und verstehen
Der Kontrast zwischen dem goldenen Abendlicht und dem Vortragstitel „Wenn das Leben grau wird“, hätte kaum größer sein können, als die Zeitspenderinnen und Zeitspender im Forum St. Liborius zusammentrafen. Das ernste Thema für den Informationsabend war mit Bedacht gewählt, denn einige ZeitspenderInnen treffen bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit auf Menschen in Lebenskrisen, deren Verhaltensweisen oft schwer einzuordnen sind. Umso lohnender war es, dass mit Annelie Geuer (Dipl. Psychologin) eine ausgewiesene Expertin für einen Vortrag gewonnen werden konnte. Neben ihrer beruflichen Tätigkeit als Psychologische Psychotherapeutin, macht sich Frau Geuer als stellvertretende Vorsitzende des Paderborner Bündnis gegen Depression für Aufklärung und Unterstützung Betroffener und Angehöriger stark. Auch den interessierten ZeitspenderInnen konnte sie interessante Einblicke in das komplexe Thema vermitteln.
Weit verbreitet und vielfach missverstanden
„Du bist nicht allein“, sollte man jedem Menschen zurufen, der von einer Depression betroffen ist. Tatsächlich leidet in Deutschland jede vierte Frau und jeder achte Mann im Laufe des Lebens unter einer depressiven Episode – und zwar unabhängig von Alter, Bildungsgrad etc. Dennoch werden Depressive oft stigmatisiert und als Menschen wahrgenommen, die ihr Leben einfach nicht geregelt kriegen oder (unberechtigt) unzufrieden und übellaunig sind. Jedoch handelt es sich um eine ernste Krankheit, die sogar zum Suizid führen kann! Depressionen sind aber behandelbar und können in der Regel mit Hilfe von Experten und erprobten Therapien überwunden werden. Ein weiterer Grund, für ein ermutigendes „Du bist nicht allein“.
Typische Ratschläge, die depressiven Menschen erteilt werden, lauten “Reiß dich doch mal zusammen“ oder „Schau doch, wie gut du es eigentlich hast“. Die Betroffenen können das aber nicht sehen! Sie nehmen die Welt und ihr Leben als trist, grau und bedrückend wahr – als hätte man einem bunten Bild alle Farbe entzogen. Aber wie kommt es zu diesem Zustand?
Da depressive Episoden in einigen Familien gehäuft auftreten, hält sich das Vorurteil der Vererbung. Tatsächlich gibt es aber kein „Depressionsgen“! Die Entstehung hängt von einem komplexen Zusammentreffen biologischer, sozialer und psychischer Faktoren ab. Ein Faktor ist die individuelle Vulnerabilität (Verletzlichkeit), die je nach Kindheitserlebnissen, Persönlichkeit etc. unterschiedlich ausgeprägt ist. Ein weiterer Faktor sind belastende Situationen wie Jobverlust, Tod oder Beziehungskrisen. Aufgrund der individuellen Verletzbarkeit, kann aber nicht jeder Mensch zu jedem Zeitpunkt gleich gut mit Belastungen umgehen. Zu Krisen können übrigens auch Ereignisse gehören, die allgemein eher positiv bewertet werden. Ein Beispiel ist der Renteneintritt, der für einige Menschen mit dem Verlust von Anerkennung und sozialen Kontakten einhergeht.
Der erste Schritt zur Genesung: Die professionelle Diagnose
Wie können Menschen in einer bedrückten Stimmungslage erkennen, ob es sich bei ihnen um eine behandlungsbedürftige Depression handelt? Hier kann nur der Profi helfen! Nervenärzte oder Psychotherapeuten bieten daher spezielle Diagnosesprechstunden an. Anhand von Fragebögen werden systematisch Informationen zum Befinden erhoben. Durch Einordnung der Details in ein international anerkanntes Klassifizierungssystem (IDC-10) ergibt sich schließlich eine genaue Einschätzung des Schweregrades der Erkrankung. Hieraus lassen sich gezielte Therapieempfehlungen ableiten.
Leichte bis mittelschwere Depressionen sind psychotherapeutisch gut behandelbar. Schwere Depressionen erfordern immer eine Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung. „Psychotherapie“ ist allerdings leider auch ein Begriff, der häufig negativ belegt und daher für viele Menschen abschreckend ist. Aber auch hier gibt es verschiedene Ansätze. Einige Patienten bevorzugen es, mithilfe der kognitiven Verhaltenstherapie an ihren aktuellen Denk- und Verhaltensmustern zu arbeiten. Andere Menschen möchten mittels tiefenpsychologisch fundierter Therapien Erlebnisse aus der Kindheit aufarbeiten. Da jede Therapie zahlreiche Sitzungen und die Mitarbeit des Betroffenen erfordert, ist es wichtig, die Form zu finden, die zu der jeweiligen Person passt.
Psychopharmaka – Viel Besser als ihr Ruf!
Psychopharmaka stehen auch heute noch unter dem Verdacht, süchtig zu machen. Diese Überzeugung entbehrt jeglicher Grundlage! Suchtgefahr besteht hingegen bei oft sorglos verwendeten Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmitteln. Und, Psychopharmaka verändern auch nicht die Persönlichkeit! Sie helfen, die wahre Persönlichkeit, die quasi durch die Depression „verschüttet“ ist, wieder zum Vorschein zu bringen.
In der Praxis werden Psychopharmaka allerdings oft nicht entsprechend der ärztlichen Verordnung eingenommen. Es braucht tatsächlich etwas Geduld, bis eine Verbesserung des Befindens spürbar wird, da erst ein gewisser Spiegel im Körper aufgebaut werden muss. Hier steigen einige Patienten verfrüht aus oder sie setzen die Medikamente eigenmächtig ab, sobald sich ihr Zustand etwas verbessert. Auch das ist falsch und führt zu Rückfällen. Nur richtig eingenommene Psychopharmaka können ihre Wirkung entfalten und insbesondere Menschen mit schweren Depressionen helfen.
Du bist nicht allein!
Menschen mit Depressionen kann also geholfen werden, aber dabei ist professionelle Begleitung sehr wichtig. Dennoch kann auch jeder aus dem Umfeld eines Betroffenen Beistand leisten. Das fängt bereits damit an, die oft schwer nachvollziehbaren Gedanken und Sorgen ernst zu nehmen! Da depressive Menschen häufig antriebslos sind, ist die Unterstützung bei der Suche nach Informationen, Experten und Therapiemöglichkeiten in der Regel hilfreich. Es gibt zahlreiche Anlaufstellen, die insbesondere dann umgehend kontaktiert werden sollten, wenn Suizidgefahr besteht. Therapeutenverzeichnisse und viele weitere Informationen erhält man auch unbürokratisch beim Paderborner Bündnis gegen Depression e.V.
Nicht zu unterschätzen ist auch die Begleitung bei der Wiederaufnahme von Aktivitäten, die dem Betroffenen vor dem Eintritt der depressiven Episode Freude bereitet haben. Eine Empfehlung für ein schönes Buch, gemeinsames Kartenspiel oder eine Fahrt ins Grüne sind kleine, aber wichtige Schritte auf dem Weg zur Genesung. Es mag hier immer wieder Rückschläge und entmutigende Momente geben. Die Chancen stehen aber gut, dass die Farbe nach und nach ins Leben zurückkehrt und man schließlich wieder gemeinsam das goldene Abendlicht wahrnehmen und genießen kann!